Montag, 16. November 2015

Strom oder kein Strom, das ist hier die Frage

Die Bundesnetzagentur meldete vergangene Woche, dass im Jahr 2014 bei 351.802 Haushalten der Strom (vorübergehend) abgeschaltet wurde weil die Anschlussinhaber ihre Rechnung nicht bezahlen konnten. Wenn wir nun von der Annahme ausgehen, dass in einem Haushalt im Schnitt drei Personen leben, dann waren rund eine Million Menschen in Deutschland zumindest zeitweise ohne Strom. Doch damit nicht genug:
"Noch weit mehr Haushalte haben Probleme mit ihrer Stromrechnung. Nach Angaben der Bundesnetzagentur drohten Lieferanten ihren Kunden insgesamt 6,3 Millionen Mal, den Strom zu kappen." [Spiegel Online]

Wie kann so etwas sein in einem der reichsten Industrieländer der Welt? Nun, zum Einen ist der Strom in Deutschland so teuer wie kaum sonst irgendwo in Europa. Der Durchschnittspreis für eine Kilowattstunde (kWh) Strom in Europa liegt bei 20,52 Cent für Privatverbraucher, während man in Deutschland im Schnitt rund 30 Cent hinblättern darf damit das Licht an und das Wasser warm bleibt. Ursache hierfür ist, kurz gesagt, die unersättliche Gier der Energieversorgungsunternehmen (EVU). Fallende Energieerzeugungskosten werden aus Prinzip nicht an die Endverbraucher weitergegeben, während jede noch so kleine Steigerung im Preis umgehend auf den Strompreis aufgeschlagen wird. Dies und die hervorragende Lobbyarbeit der deutschen Industrie, die dafür sorgte, dass die Industrie den exakt selben Strom für 6,27 Cent pro kWh (europäischer Durchschnitt: 9,37 Cent/kWh) geliefert bekommen führten dazu, dass die Strompreise für Privatkunden in Deutschland sich seit 2002 verdoppelt (!) haben. Die EVU sorgen dafür, dass ihre Aktionäre dicke Dividenden ausgezahlt bekommen, die praktisch direkt aus den Taschen der Ärmsten Bevölkerungsteile kommen. Kapitalismus, fuck Yeah!

Wenn man nun -wie ich- zu den Millionen finanziell armen Menschen in Deutschland gehört, und zusätzlich noch -wie ich- in einem Altbau lebt, den der Vermieter aus Gewinnmaximierungsgründen nicht zu modernisieren gewillt ist (über 30 Jahre alter Durchlauferhitzer, keine Wärmedämmung, unzuverlässig bis überhaupt nicht funktionierende Heizung, usw. usf.), dann kann es durchaus sein dass die Stromkosten 40% des monatlich verfügbaren Einkommens überschreitet. Kommt dann das Jobcenter in seiner grenzenlosen, nie gekannten Weisheit auf den Gedanken dir eine Sanktion von 30% aufzubrummen, weil du es nicht eingesehen hast deine Zeit auf einer Kindergarten-Veranstaltung (aka "Aktivierungsmaßnahme") zu verschwenden, dann stehst du die nächsten drei Monate vor der Wahl Stromrechnung bezahlen oder was vernünftiges zu fressen kaufen. Als Folge kannst du dann entweder bei Licht fasten oder im Dunkeln essen.
Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Kosten, die auf dich zukommen wenn du deine Stromrechnung nicht bezahlen kannst. Zu den Mahngebühren kommt über kurz oder lang der Chipkarten-Zähler, den sich der Energieversorger natürlich von dir subventionieren lässt. Günstigere Vorratseinkäufe für längere Zeiträume fallen flach, weil Kühlschrank/Tiefkühltruhe natürlich Strom brauchen um zu funktionieren.

Was sagt die Politik dazu fragt ihr? Nun, die Damen und Herren Politiker halten sich vornehm zurück mit einer Regulierung dieser gesellschaftsfeindlichen Geschäftspraktiken. Die Gewinne der Industrie und die der EVU sind diesem Pack wesentlich wichtiger als die Versorgung der schwächsten Glieder der Gesellschaft mit dem Luxus einer unterbrechungsfreien, erschwinglichen Energieversorgung. Wo kämen wir da auch hin, altrömische Dekadenz, yadi yadi yadi, blablablubb...

3 Kommentare:

  1. Das sind doch gerade die Segnungen des Kapitalismus und die Folgen der Heilsversprechen der Privatisierungen. :-) Erwartet denn irgendwer allen Ernstes, dass diese politische Bande etwas dagegen unternimmt? Eher gibt der Papst zu, dass er es liebt, mit einem Pferd zu kopulieren.

    Nach kapitalistischer Logik ist das völlig schlüssig: Wozu benötigen nutzlose Menschen denn auch Strom? Es reicht doch, wenn sie möglichst schnell ableben. Wie sagte schon unser geliebter Spezialdemokrat Peer Steinbrück:

    "Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern."

    (aus: "Etwas mehr Dynamik bitte", in: "Die Zeit" vom 13. November 2003)

    Wir lieben unseren Kapitalismus. :-)

    Liebe Grüße!

    AntwortenLöschen
  2. Puh, bei Sprüchen wie im Zitat von dir wird mir immer ganz anders. Den Politikern ist selbst mit gesegnetem Wasser nicht mehr zu helfen, wie meine Omma selig zu sagen pflegte.

    AntwortenLöschen
  3. Erstmal danke für Deinen Beitrag, es ist immer wieder hilfreich zu sehen man ist mit seinen Gedanken und Erfahrungen nicht allein. Ich selbst hatte und habe häufig Angst vor Stromsperren. Ich beherzigte auch den beliebten Rat "Bei Kerzenschein ein gutes Buch zu lesen" als plötzlich der Einbrecher vor mir stand, sichtlich überrascht jemanden anzutreffen. :) Man kann es ihm nicht vorwerfen. Die Polizei riet mir dann in Zukunft einfach immer das Licht anzulassen, damit die Wohnung bewohnt aussieht. :) Tja, das zu den wunderbaren Sparratschlägen gutbetuchter Mittelständler. Generell sind die Themen Strom und Wärme ein Paradebeispiel für die Unart mittels Spartipps von der Not abzulenken und die Schuld für hohe Rechnungen und der damit verbundenen existenziellen Krisen auf die Betroffenen abzuwälzen. Ist die Rechnung zu hoch hast Du nicht genug gespart.


    Gerade bei den Strompreisen ist unübersehbar wie Politik für die Elite gemacht wird: Unternehmen mit hohem Stromverbrauch bekommen einen Rabatt, kleine Unternehmen und Privathaushalte zahlen pro Killowattstunde viel mehr. Es fällt mir schwer zu begreifen warum noch nicht einmal bei diesem Thema quer durch die Gesellschaft hindurch protestiert wird.

    Bei Zitaten wie dem von Steinbrück fehlen mir immer die Worte vor Fassungslosigkeit...

    AntwortenLöschen