Donnerstag, 26. März 2015

Wider den Weltschmerz

Es ist Donnerstag. Die Woche ist fast vorbei und die arbeitende Bevölkerung freut sich schon aufs Wochenende. Die Demonstrationen vom vergangenen Freitag sind schon Tage später so weit weg als wäre es im alten Rom passiert. Bestenfalls wird sich noch eine Zeitlang über die Gewalttätigkeiten echauffiert oder, je nach Gusto, über die Gründe für die Demonstrationen diskutiert.
Ich bin das eigentlich leid, die Ursachen für die Demos sind allen Menschen die es wissen wollen bekannt und dass es jetzt in Frankfurt Ausschreitungen gab ist nur die logische Konsequenz aus der Weigerung der Politikhanseln auf die Leute zu hören, deren Interessen sie doch vertreten sollen. Das einzig Überraschende ist, dass es nicht schon früher angefangen hat zu knallen und das es nicht noch viel mehr knallt.

Aber wenn ich mal von mir auf andere schließen darf, dann ist das eigentlich auch keine Überraschung. Ich rege mich auch schon seit Jahren über die Zustände auf und trete trotzdem immer auf der Stelle und kriege es nicht einmal hin meine eigenen Interessen vernünftig zu vertreten. Jedes mal wenn ich wieder einmal "sanktioniert" werde schwinge ich große Töne, dass ich vor Gericht gehe und mir das nicht mehr bieten lasse. Aber für mehr als das reicht dann meine Kraft nicht mehr. Natürlich schreibe ich Widersprüche, aber die werden halt abgelehnt, und damit hat es sich dann.

Dann überkommt mich diese unbeschreibliche Schwere. Und Weltschmerz. (Ein scheiß Wort, aber es passt wie die Faust aufs Auge. Wikipedia definiert: "[...]ein Gefühl der Trauer und schmerzhaft empfundener Melancholie, das jemand über seine eigene Unzulänglichkeit empfindet, die er zugleich als Teil der Unzulänglichkeit der Welt, der bestehenden Verhältnisse betrachtet. Er geht oft einher mit Pessimismus, Resignation oder Realitätsflucht". Kein Wunder dass es ein beliebter Germanismus ist)
Ein Weltschmerz, für den ich so viele Ansatzpunkte habe, dass man allein mit der Aufzählung von allem was meiner Meinung nach falsch läuft auf dieser Welt ganze Bände füllen könnte. Und mit den Lösungsansätzen ganze Bibliotheken.
Also habe ich mir überlegt, sozusagen zur Schmerzbewältigung, eine öffentliche Shitlist zu erstellen, mit all den Firmen, Politikern und Einrichtungen, die zerschlagen, abgesetzt und abgeschafft gehören und warum. Aber nach kurzer Zeit wurden mir drei Dinge klar und ich habe die Liste gelöscht.

  1. Wem würde so eine Liste helfen? Niemandem. Ich weiss auch so wer auf dieser Liste steht und andere würde sie vermutlich nicht besonders interessieren.
  2. Durch die Nennung von Namen, besonders Namen deutscher Politiker, und die Feststellung was für Arschlöcher Politiker im Allgemeinen und diese Politiker im Speziellen sind, würde ich mich im freien deutschen Internet™ zu einer potentiellen Zielscheibe machen für alle möglichen Arten der Repression . Und erzähl mir keiner, dass ein blog, den nur eine Handvoll Leute lesen vor so was sicher ist. Security through obscurity gibt's nicht, das bekam ich vor Jahren schon einmal an der eigenen Haut zu spüren.
  3. Es gibt mehr als genug Quellen aus denen man sich diese Shitlist selber zusammenstellen kann und ich bin mir sicher, dass jeder der sich kritisch mit dem Weltgeschehen auseinander setzt, ebenfalls so eine (mentale) Liste hat und dass diese Listen von Tag zu Tag größer werden.

Fuck the System, denke ich mir fast jeden Tag wenn ich die Nachrichten lese. Ich bewundere die Demonstranten, die sich aktiv und laut über die Mißstände in unserer Gesellschaft beschweren. Selbst den "schwarzen Block" und seine Gewaltausbrüche kann ich, ehrlich gesagt, mittlerweile besser verstehen als mir lieb ist. Aber wenn es darum geht selbst auf die Straße zu gehen und meine Wut in die Welt hinaus zu schreien, allen zu zeigen dass es mir dreckig geht und warum das so ist, dann ist sie wieder da, die Schwere und die Verzweiflung. "Wozu die Mühe?" frage ich mich dann. Es ändert sich ja doch nichts. Dann lege ich mich auf meine Couch und gucke mir Filme an bis ich nichts mehr spüre, oder reagiere meine Wut und Verzweiflung an Pixelmännchen in irgend einem Computerspiel ab. Das ist Eskapismus pur und ich hasse mich manchmal dafür.
Leute wie ich, ohne großes (soziales) Netzwerk und mit wenig Kontakt in die Außenwelt abseits des Internets, haben in der Öffentlichkeit keine Stimme und kaum Fürsprecher. Und wenn man oft genug hört, dass man keinen Wert hat und dass es den ganzen "Sozialschmarotzern" in Deutschland noch viel zu gut geht, dann glaubt man irgendwann selbst daran (wenn auch vielleicht nur unterbewusst) und handelt auch dementsprechend. Mir zumindest geht das so.

Die Tage hatte ich eine kurze Diskussion im Teamspeak mit einem Studenten, der auch meinte dass, im Vergleich mit anderen Ländern, es den Hartzern viel zu gut ginge und dass man die Faulheit nicht noch unterstützen dürfe. Das verschlug mir erst einmal die Sprache, weil ich diesen jungen Mann eigentlich für einen recht intelligenten und gut informierten Vertreter seiner Spezies gehalten hatte. Ich murmelte dann etwas davon, dass man das so nicht vergleichen könne, dass es halt in Deutschland auch viel zu wenig Arbeitsplätze für alle gäbe und dass es auch ihn jederzeit treffen könne, auch als studiertem und dann ging die nächste Runde des Spiels los und das Thema war erledigt. Ich war später regelrecht wütend. Wütend auf ihn, weil er das Thema auf diesem Stammtisch-Niveau anging, aber noch wütender auf mich, weil ich ihm nicht wirklich kontra gegeben hatte.
Nur, was hätte das gebracht? Überzeugen können hätte ich ihn eh nicht, die Diskussion wäre unweigerlich in einem Streit geendet und der Abend wäre versaut gewesen.
Mittlerweile bin ich nicht mehr wütend auf ihn, er hat nur das ausgedrückt was die Mehrheit denkt: Wer, aus welchen Gründen auch immer, nicht selbst für sein Auskommen sorgen kann, der hat halt Pech gehabt oder ist eine faule Sau und sollte der Allgemeinheit nicht auf der Tasche liegen. Dass es ihm jederzeit genau so ergehen kann und dass die eigentlich Schuldigen am Dilemma nicht die Hartzer, sondern die Bonzen und die Politik sind hat er mit seinem jugendlich beschränkten Horizont nicht erkannt.

Was hat diese Anekdote jetzt mit dem Thema Weltschmerz zu tun? Nun, erst einmal nichts. Aber beim Nachdenken über diesen Vorfall stellte sie sich bei mir wieder ein, diese Schwere und Verzweiflung. Wenn selbst (angehende) Akademiker das neoliberale Weltbild so unkritisch als alternativlos (wie ich dieses Wort hasse) und quasi gottgegeben hinnehmen, wie soll ich ungebildeter Hartzer ohne Mittel dann irgendetwas am Status Quo ändern können?
Sollte ich nicht vielmehr froh sein, dass Vater Staat meine "Faulheit" auch noch finanziert? Schließlich geht es den abgehängten in anderen Ländern doch noch schlechter als mir. Immerhin habe ich ein Dach über dem Kopf und (meistens) genug Geld um meine Stromrechnung zu bezahlen und mir was zu essen zu kaufen.

Nein, das sollte ich nicht! Ich sollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Straße gehen und allen sagen, dass es mir nicht gut geht in der "sozialen Hängematte". Ich sollte all den Deppen, die denken, dass man jede Arbeit annehmen muss, sei sie auch noch so schlecht bezahlt, ihre Sklaveneinstellung unter die Nase reiben. Ich sollte sagen sagen dass ich stolz darauf bin mich nicht weiter ausbeuten zu lassen, dass ich trotz allem lieber von der Stütze lebe als anderer Leute Reichtum zu mehren. Ich sollte erklären dass nicht Leute wie ich dafür sorgen dass der Sozialstaat am kaputt gehen ist, sondern Leute wie Schröder, Merkel und Gabriel. Politiker, die ihre Politik nur noch nach Wirtschaftsinteressen ausrichten und die, entweder aus reiner Dummheit, aus Verblendung oder aus schierer Gier eine, die Menschenwürde mit Füssen tretende Agenda vertreten und uns so langsam aber sicher zugrunde richten.
Ich sollte lauthals Solidarität einfordern. Für die Schwachen und Ausgebeuteten, für mich. Friede den Hütten, Krieg den Palästen und all das pathetische Gerede vom Klassenkampf sollte ich jedem in die satte Fresse schleudern der es wagt mich für meine Situation verantwortlich zu machen.

All das sollte ich tun. Nichts davon tue ich wirklich. Weil mir die Kraft fehlt, weil mir die vorwurfsvollen Blicke im Jobcenter und die herabwürdigen Bemerkungen im Bekanntenkreis über Jahre hinweg das Rückgrat erodiert haben und ich oft nur noch in Ruhe gelassen werden will.
Aber bei allem Weltschmerz und Selbstmitleid ist mir doch klar, dass dies nicht von selbst passieren wird. Wenn ich will das sich etwas ändert, dann muss ich was dafür tun. Entweder ich übe es aufzustehen und für meine Werte und Überzeugungen einzutreten oder ich werde, zusammen mit vielen, vielen anderen, von der menschenverachtenden Entwicklung die unsere Gesellschaft im Augenblick durchmacht überrollt werden.

Man betrachte diesen Text als ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung und Aufruf an andere Betroffene sich nicht aufzugeben.

pic somewhat related ;-)


P.S. Schon komisch wo einen Gedankengänge hinführen können. Eigentlich wollte ich nur ein paar Takte über die Demo letzte Woche schreiben. Heraus kam jetzt das hier und ich bin... überrascht von mir selbst.

8 Kommentare:

  1. Ich bilde Azubis aus. Die Jugend, die nachwächst, ist zu großen Teilen xenophob, unsolidarisch, eiskalt, ungebildet und auf nichts anderes als den eigenen Vorteil bedacht. Dein Student macht da keine Ausnahme. Die wenigsten von ihnen haben eine Haltung und wenn, dann keine gute....

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  2. Ja, der Verdacht drängt sich mir leider auch immer auf wenn ich den Plagen meines Nachbarn durchs Fenster zuhöre. Ich hatte aber gehofft, dass wäre bei denen hauptsächlich der Erziehung geschuldet.
    Schade.

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    1. hauptsächlich der _schlechten_ Erziehung geschuldet soll es heissen.
      Wieso kann man hier keine Kommentare editieren?

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  3. Weil die Kommentarfunktion bei Google grottig ist. War sie immer schon. :)

    Lösch doch einfach und schreib neu. Du bist der Admin.

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  4. Chapeau... und immer wieder die Frage, was kann ich tun? Ich weiß es auch nicht, dabei sind wir doch so viele... Als ich noch politisch aktiv war, hat es mir den letzten Zahn gezogen, vorm Jobcenter Wahlkampf zu machen, in all die leeren Gesichter schauen zu müssen und keinerlei Ansprache finden zu können... Und dann liest man all die politischen Blogs mit ihren klugen Betrachtungen und Analysen, hört von Aurufen zu Protesten und weiß doch, dass sie die, die es gilt zu erreichen, um wirklich etwas verändern zu können, schon lange nicht mehr erreichen...

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    1. Genau so sieht es aus. Aber es muss doch irgend etwas geben was man neben Verweigerung tun kann. Ich habe mir auch schon überlegt mich mit selbstgemachten Flyern vor einen dieser tollen "Maßnahmenträger" zu stellen und quasi Klinken putzen zu gehen mit Informationen. Aber es ist wie du sagst, wenn du da in die leeren Gesichter guckst wird dir jede Illusion genommen das du als einzelner dazu beitragen kannst etwas zu ändern.

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  5. "Verweigerung" ist denke ich das Stichwort... davon braucht es aber noch viel mehr. Im Grunde genommen tun objektiv gesehen die vielen desillusionierten "Kunden" der Jobcenter ja auch genau das - sie verweigern sich, wenn es irgendwie geht. Ich erinnere mich noch gut an eine Maßnahme, wo ein Teilnehmer in einem Feedback auf die Frage, worauf man stolz ist geantwortet hat, darauf, dass er es jetzt 18 Jahre lang trotz allen Drucks geschafft hat, jeder regulären Arbeit aus dem Weg zu gehen. Damals fand ich das noch befremdlich, heute denke ich darüber anders. Nun muss ja nicht gleich jede(r) zum "Totalverweigerer" werden, aber wenn ich beobachte, wieviele sich selbst als "links" Verstehende trotz aller Kritik am System pflichtbewusst ihr Bestes in den Hamsterrädern des Kapitalismus geben, bekomme ich eine Ahnung davon, warum dieser nach wie vor so gut funktioniert. Sie machen mit, die linke Bundestagsabgeordnete genauso wie der Pfleger im Krankenhaus, der nebenher aufgrund seiner sozialen Ader auch noch im Personalrat mitmischt oder der Blogger, der bis tief in die Nacht seinen aufrüttelnden Text schreibt, um morgens übermüdet wieder seinem Job als Streetworker nachzugehen.
    So gesehen, sind die oben genannten Desillusionierten schon wesentlich weiter...

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  6. Ich bin studiert und war trotzdem recht lange Hartzer. Anfangs hatte ich die Hoffnung, innerhalb von drei Monaten da raus zu kommen. Das war eine Illusion. Lange hat es dann gedauert, bis ich wieder einen Job fand. Mir ging es mit Hartz nicht gut. Obwohl ich sehr sparsam sein kann, hatte ich ständig Geldnot. Die Bewerbungen brachten mir nichts ein als Resignation. Hinzu kam das dauernde Schuldgefühl, denn ich fühlte mich verantwortlich für meine Lage, ohne dass ich etwas ändern konnte. Vorurteile aller Art haben die Resignation und das Schuldgefühl verstärkt.

    Meine Antwort auf jene, die sich beschweren, dass Hartzer alles reingeschoben bekämen, ist heute: Dann gehe selber auf ALG II, wenn das Leben damit so paradiesisch ist! Seltsamerweise will das dann keiner.

    Ich bin jetzt seit 1,5 Jahren raus aus Hartz IV. Die Angst vor erneuter Arbeitslosigkeit ist aber mein ständiger Begleiter.

    Hartz IV ist meiner Meinung nach demütigend und eine Form der Repression.

    Dass Leute immer auf andere Länder verweisen, wo es den Menschen schlechter geht, ist erschreckend. Dann wirkt es so, als sei Hartz IV bloß Gnade. Aber eigentlich ist die Absicherung des Risikos Arbeitslosigkeit ein zivilisatorischer Fortschrittt. Doch solche Fortschritte sind aktuell nicht mehr en vogue, man gibt sie offenbar zu gerne preis. Genau das macht mir Angst.

    LM

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