Dienstag, 31. März 2015

Spur der Falken - Schiss der Tauben

Das Fachblatt für Videospiele und Kultur, "der Freitag", hatte vor gut zwei Wochen einen Artikel "Spur der Falken" eines gewissen Herrn Michael Schulze von Glasser (den ich im Folgenden, der Einfachheit halber, nur noch Schulze nennen werde), der sich mit der aktuellen Arbeit des Jugendmedienschutzes befasst. Eigentlich wollte ich damals schon ein paar Sätze über die eigenartigen Ansichten von Schulze verlieren, aber hab's dann aus Gründen wieder vergessen.
Als ich heute meine Bookmarks auf der Suche nach einem Thema für einen Post durchwühlt habe, fiel mir der Artikel wieder auf.

Er fängt an mit einer kleinen Zeitreise ins Jahr 1984. Schulze zitiert aus der Begründung für die Indizierung des Spiels River Raid von Activision. Kriegsverherrlichend sei es, es würde Kinder aggressiv machen und ihnen Kopfschmerzen bereiten heißt es da. Außerdem fände schon im Kindesalter eine paramilitärische Ausbildung statt. Ich schmunzle über die Naivität der damaligen Moral- und Jugendhüter von der BPjS (heute BPjM) und auch Schulze stellt fest, dass man schon sehr viel Phantasie brauche um bei den Pixelhaufen überhaupt etwas zu erkennen.
Dann der Sprung zurück in die Gegenwart, zu Call of Duty: Black Ops II, der aktuellen Cash Cow von Activision. Dieses Spiel mit realistischer Gewaltdarstellung und "hektoliterweise Blut", bei der man die Möglichkeit hat Zivilisten zu erschießen und seine Gegner zu foltern und exekutieren, dient Schulze quasi als erstes Negativ-Beispiel für die heutige Arbeit der Jugendschützer. "Das Spiel darf von Volljährigen gespielt werden", schiebt er dann noch schnell hinterher und stellt dann fest dass sich bei den Jugendschützern ja wohl einiges geändert habe.

Ja Moment mal, denkt sich da der aufmerksame Leser. Da zerschießt sich der Gute doch gleich am Anfang sein Narrativ, noch bevor er es ganz aufgebaut hat. Wenn doch das Spiel überhaupt nicht für Jugendliche freigegeben ist, dann kann es ja wohl schlecht als negatives Beispiel für den Jugendschutz gelten. Mal ganz abgesehen davon, dass Jugendschutz meiner Meinung nach Sache der Eltern sein sollte und der Staat sich da eigentlich weitgehend raus zu halten hat. Wenn das Spiel eine USK 18 Freigabe hat, ist dem Jugendschutz definitiv genüge geleistet und die USK und die BPjM können sich mit dem guten Gefühl zurück lehnen ihre Arbeit getan zu haben. Deutschlands Jugend ist einmal mehr vor der Verrohung bewahrt worden.

Nur für Erwachsene

Doch das ficht Freund Schulze nicht weiter an, der Mann ist auf einer Mission, und die lässt er sich doch nicht von Unstimmigkeiten in der Argumentationskette kaputt machen. Unter der Überschrift "Nur für Erwachsene" zitiert er im nächsten Abschnitt Petra Meier von der BPjM und Felix Falk, Geschäftsführer der USK. Beide versuchen ihm zu erklären, dass sich die Indizierungskriterien in den letzten Jahrzehnten im Prinzip nicht grundsätzlich verändert haben, wohl aber die Auffassung darüber, wann eine Jugendgefährdung vorliege. Aus diesen Erklärungen schließt Schulze dann: "Gewaltdarstellung ist nur noch in wenigen Fällen ein Grund für Verbote."
Äh, o-kay? Lassen wir das mal so stehen für den Moment und gehen nicht darauf ein, dass auch heute noch Spiele mit exzessiver Gewaltdarstellung nur in entschärften Fassungen oder überhaupt nicht freigegeben werden. Genau wie in der guten alten Zeit™ anno 1984, in die der Herr Schulze sich zurück zu wünschen scheint. Nur für Erwachsene halt eben.

Im Anschluss wird dann noch ausgiebig aus der Begründung für die Streichung des Spiels River Raid von der Liste der indizierten Spiele zitiert. Diese Begründung ist (für mich zumindest), im Gegensatz zur Begründung für die Indizierung, sehr einleuchtend und schlüssig. Ebenso wie die dann folgenden Erklärungen zum Shooter-Klassiker Doom, der 1994 indiziert wurde und ebenfalls letztes Jahr von der Liste gestrichen wurde. Am Schluss des Absatzes wird noch kurz erwähnt, dass die Zahl der nur für Erwachsenen freigegebenen Titel in den vergangenen 10 Jahren deutlich gestiegen ist, während die Indizierung solcher Titel einen Rückgang aufweist. Dies führt Herr Schulze (vermutlich zu Recht) auf die Anpassung der Spieleindustrie an die speziellen deutschen Verhältnisse und eine liberalere Wertung dieser Spiele durch den Jugendschutz zurück.

Für die Kleinen

Restricted for those below the age of 12Im folgenden Abschnitt "Für die Kleinen" erklärt Felix Falk von der USK, dass es in den Bewertungen nicht nur um den reinen Gewaltanteil in den Spielen gehe, sondern immer auch um den Kontext. Dem pflichtet sein Kollege, Diplom-Pädagoge Jörg Warras (seit 12 Jahren USK Gutachter), bei und führt weiter aus, dass es immer auch darum gehe ob Gewalt in die Story eingebettet -also an der Stelle jetzt "notwendig"- ist, oder ob es nur um Gewalt der Gewalt wegen gehe. Dementsprechend werden dann Titel eben höher oder niedriger eingestuft. Soweit die Theorie und die Aussagen der FachmännerInnen.

Doch diese Aussagen will Herr Schulze den Menschen vom Jugendschutz nicht so einfach glauben und behauptet, dass es heutzutage überhaupt kein Problem sei ein kriegsverherrlichendes Spiel in Deutschland auf den Markt zu bringen. Vielmehr würden Spiele den Markt dominieren, in denen Militäreinsätze als saubere Lösung politischer Auseinandersetzungen dargestellt werden. Das ist doch mal eine überprüfbare Aussage. Ein kurzer Blick auf die Verkaufscharts 2014 zeigt uns was für einen Blödsinn Schulze hier verzapft. Unter den Top 10 Titeln passt genau einer in die Kategorie "kriegsverherrlichend", auf Platz eins und zwei ist FIFA 2015 (jeweils die PS3 und PS4 Version), wobei man ja mit einigem guten Willen und der richtigen Einstellung auch Fußball als kriegsverherrlichend ansehen kann. Dann folgen GTA V (keine Jugendfreigabe), Call of Duty: Advanced Warfare (Da haben wir den einzigen Titel der in das Narrativ der kriegsverherrlichenden Computerspiele passt und er ist *Trommelwirbel* USK18), Diablo 3, Tomodachi Life (eine Zuckerguss-Version von Die Sims auf Nintendo Handhelds), Assassins Creed: Unity, der Lego-Ersatz Minecraft, Watchdogs (in dem man einen Hacker spielt) und schließlich auf Platz 10 die Sims 4. Dem folgen Rennspiele, mehr Fußball, Der Landwirtschaftssimulator(!), Pokemon, Piraten, Fantasy, Horror, und dann auf Platz 35 Battlefield 4. Soviel zur Dominanz der Kriegsspiele auf dem deutschen Markt.

Als "Beweis" für seine Aussagen führt Schulze als erstes ausgerechnet das Strategiespiel Civilization (!) an, in dem man problemlos Völkermorde begehen und mit Atombomben ganze Kulturen auslöschen könne. Nun ist Civilization ein Spiel, dass ich auch viel gespielt habe und ich kann dem Herrn Schulze versichern, dass es mitnichten problemlos ist, dort Völkermorde zu begehen. Vielmehr wird es immer schwieriger erfolgreich Kriege zu führen und dabei gleichzeitig seine Bevölkerung bei Laune zu halten, von diplomatischen Problemen einmal ganz abgesehen (wie im echten Leben halt...). Genauso wenig rottet man mit einem Atombomben-Abwurf eine ganze Kultur aus, nicht mal eine ganze Stadt bekommt man damit völlig dem Erdboden gleichgemacht, ganz davon abgesehen, dass man die Atombomben erst gegen Ende des Spiels entwickeln kann. Im Gegenteil ist es bei vorausschauender Spielweise und einer halbwegs guten Strategie viel problemloser das Spiel auf friedlichem Wege, mit Erforschung und Kultur zu gewinnen. Bei Bedarf gebe ich ihm gerne eine Nachhilfestunde und zeige ihm persönlich wie einfach das geht. Aber ich bezweifle sehr dass der gute Mann dieses Spiel jemals gespielt hat, sonst würde er nicht einen solchen Käse erzählen.

Als weiteres Beispiel gibt er America's Army an, eine Spiel-Reihe die wegen ihrer Gratis-Verfügbarkeit eigentlich gar nichts in diesem Artikel verloren hätte, aber sei's drum. In dem Fall gebe ich ihm sogar teilweise Recht, ist der Titel doch ein Propaganda-Werkzeug der US-Army, mit dem diese versucht, sich Nachwuchs an Kanonenfutter in god's own country zu beschaffen. Die Bespaßung der restlichen Welt mit einem flachen Taktik-Shooter ist da nur ein Kollateralschaden.

Battlefield, Call of Duty und Medal of Honor sind natürlich auch des Teufels und es scheint in Schulzes Augen geradezu ein Skandal zu sein, dass sie die selbe Einstufung (USK16) haben wie das "kriegskritische" Spiel Spec Ops - The Line. Auch hier zeigt sich wieder deutlichst, dass Schulze, neben der Falschbehauptung Call of Duty sei ab 16 freigegeben, nicht die leiseste Ahnung von der Materie hat. So ist es zwar richtig, dass Spec Ops einen eher kritischen Standpunkt zum Krieg einnimmt, dies schlägt sich aber weder in der Gewaltdarstellung nieder, noch in der Spielmechanik. Die Kriegskritik erschöpft sich darin, dass der Protagonist im Laufe des Spiels Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Mission entwickelt und die von ihm (also dem Spieler) ausgeführten Kriegsverbrechen sein Gewissen schwer belasten. Dieser innere Dialog hält ihn aber zum Beispiel nicht davon ab ein Flüchtlingslager mit Phosphor zu bombardieren. Im Gegenteil, das Spiel zwingt den Spieler dazu, sonst würde ja die Botschaft nicht überbracht werden. Nach alternativen Möglichkeiten, den Konflikt in dem der Protagonist sich bewegt zu lösen, sucht man in diesem Spiel vergebens. Ich halte ehrlich gesagt dieses ganze "kriegskritische" Gedöns von Spec Ops für einen Publicity-Stunt um die Auflage zu erhöhen.
Der Rest des Spiels ist nämlich generische, streng lineare 3rd Person Shooter Kost. Und ob ein 16-jähriger die geistige Reife besitzt dieses Geschehen richtig einzuordnen und die Kritik am Krieg als solche zu erkennen, das wage ich in vielen Fällen zu bezweifeln. Gerade dieser Titel ist einer, bei dem ich als USK-Prüfer nur mit Bauchschmerzen eine Freigabe geben würde.

Ach und nebenbei bemerkt, Spec Ops: The Line wird von der selben Firma vertrieben wie das böse Civilization, nämlich 2K. Andere Spiele in deren Portfolio sind z.B. das wohl auch bei Herrn Schulze unverdächtige Railroad Tycoon und die sehr phantasievolle, wenn auch recht blutige Bioshock-Serie, der man eine gewisse Gesellschaftskritik nicht absprechen kann. Aber um so etwas zu bemerken muss man sich schon mit der Materie befassen und nicht einfach nach 2 Minuten Google-Suche in einer knappen Stunde einen Artikel hinrotzen, der vor faktischen Fehlern  nur so strotzt. Liebe Freitag-Redaktion, für das Geld dass ihr dem Schulze bezahlt schreib ich euch auch einen Artikel. Einen, der nicht so voreingenommen platte Vorurteile noch mehr breit wälzt wie dieses Machwerk. (Dafür mit jede Menge Rechtschreibfehlern ;-)) Überlegt's euch mal.

Zurück zum Thema: Auch Arma 3 bekommt sein Fett weg, ist es doch laut Schulze ein "Strategie-Shooter, in dem schon 16-jährige gegen ein Bündnis aus Chinesen und Iranern in den Krieg ziehen". Das der bei weitem größte Teil der Arma-Community die Militärsimulation wegen ihrer ausgezeichneten Mod-Unterstützung spielt und lieber virtuell Räuber und Gendarm im Mod Altis Live oder einen der hunderte anderen Mods spielt, geschenkt. Um den Rundumschlag komplett zu machen fabuliert er dann noch was von dutzendfachen Verstößen gegen die UN-Charta und die Genfer Konvention, die die Jugendschützer nicht im mindesten irritieren würden, ohne auch nur andeutungsweise zu erklären, was damit jetzt konkret gemeint sein soll.

Am Ende des Artikels beschwert Schulze sich dann noch über den Umstand, dass Strategiespiele nur bunt und schön verpackt sein müssten um auch Kindern den Zugang zu Militäreinsätzen zu ermöglichen und zitiert noch irgendwas aus dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Naja, ich wette Herr Schulze verbietet seinen eigenen Kindern, so er denn welche hat, auch das Brettspiel Risiko, weil das ja kriegsverherrlichend ist. Und geht zum Lachen in den Keller, wo er eigens dafür einen schalldichten Bunker eingerichtet hat. Allen anderen Menschen sei gesagt, die USK-Ratings sind nicht bindend. Wenn Sie denken ein Spiel ist nichts für ihr Kind, dann kaufen Sie es ihm nicht. Genauso steht es ihnen frei ihrem 14-jährigen Sprössling ein Spiel wie Battlefield 4 zu kaufen und damit Unmengen erwachsenen Spielern den Spaß zu verderben (jeder, der schon einmal im Teamspeak dem Tantrum eines 14-jährigen ragers zuhören musste, weiß wovon ich rede).

Was in dem Artikel (neben Fakten) gänzlich fehlt, ist der Hinweis auf die riesige Szene an Independant-Spiele-Schmieden, die praktisch im Minutenrhythmus innovative neue Spiel-Konzepte herausbringen. Das ist der Hinweis auf den durchaus oft sehr respektvollen Umgang untereinander, der in Gaming-Communities zwar nicht immer, aber doch oft genug vorherrscht. Das ist das verbindende Element, dass das Spielen von Multiplayer-Games so befriedigend für alle Altersklassen macht. Aber um diese Dinge zu sehen, müsste man vom hohen Ross des Moralapostels heruntersteigen und sich in die Niederungen der modernen menschlichen Gesellschaft begeben. Und dazu sind Leute vom Schlage des Herrn Schulze selten bereit, die betreiben lieber weiter fearmongering und halten Abstand vom gemeinen Pöbel.

Der Jugendschutz ist vornehmlich Elternsache und das ist auch gut so. Der Staat sollte sich so weit als möglich aus der Erziehung unserer Kinder heraushalten, was dabei herauskommt wenn das nicht der Fall ist haben wir vor rund 80 Jahren schon einmal erlebt und ich persönlich kann auf eine Wiederholung gut verzichten.
Was im Zusammenhang mit diesem Thema viel schlimmer ist, das ist die Tatsache, dass unter dem Deckmantel von Jugendschutz Titel zensiert und/oder indiziert werden, die sich an Erwachsene richten. Das ist der Fakt, dass im ehemaligen Land der Dichter und Denker kreativen Köpfen einer neuen Kulturform, wenn auch nur metaphorisch, (wieder einmal) Fesseln angelegt werden und sie an der freien Entfaltung ihrer Kreativität behindert werden, und nicht die herbei phantasierte Ignoranz unsere Jugendmedienschützer vor kriegsverherrlichenden Computerspielen.

So, das war jetzt meine wall of text für diese Woche, vielen Dank an jeden der bis zum Ende durchgehalten hat :-)

1 Kommentar:

  1. Endlich mal ein Artikel, der unsere sogenannten "Medienfachexperten" und ihre zum Teil schwachsinnigen Behauptungen offen kritisiert.

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