Sonntag, 12. April 2015

"Asche auf mein Haupt" ist nicht genug

Europäische Schwarze Witwe, Weibchen
Ich hatte mich nach dem Absturz von Flug 4U9525 bewusst dazu entschieden, außer einem sehr kurzen Kondolenzpost, keine weiteren Posts zu diesem Thema zu erstellen, obwohl es ein sehr dankbares Thema gewesen wäre. Man hätte wunderbar spekulieren können. Man hätte Verschwörungstheorien aufstellen können. Man hätte sich über die reißerische Berichterstattung in den "Qualitätsmedien" aufregen können. Ganz nebenbei wäre das Blog durch geschicktes SEO mit der passenden Verschlagwortung vielleicht noch etwas bekannter geworden und ich hätte für Tage, wenn nicht Wochen, genug Stoff für neue Posts gehabt.

Aber mein Blog ist kein Nachrichtenmagazin, keine Verschwörungsseite und auch kein Medienwatchblog. Außerdem hätte ich mich nicht wohl gefühlt bei dem Gedanken aus der Trauer und dem Schock einer solchen Katastrophe noch, sei es auch noch so wenig, Kapital zu schlagen. Also tat ich das, was meiner Meinung nach auch den allermeisten Medien gut zu Gesicht gestanden hätte: ich ließ das Thema komplett außen vor. Mehr noch, ich las in dieser Zeit praktisch keine Artikel die sich in irgendeiner Weise mit dem Absturz beschäftigten, von einigen Blogposts mit kritischen Standpunkten aus meiner Leseliste einmal abgesehen.
Trotzdem bekam ich natürlich doch den ganzen Medienwirbel aus zweiter und dritter Hand mit und es kotzt mich, genauso wie viele viele andere, enorm an was da abläuft. Das einzig Positive bei der ganzen Witwenschüttelei und dem politischem Katastrophentourismus ist der Fakt, dass sich immer größere Teile des Publikums von dieser Art des Umgangs mit solchen Ereignissen angewidert abwenden. Bei der Handvoll Artikel, die ich zum Thema gesehen habe, war der Anteil der Kommentare, die sich kritisch zur Berichterstattung äußerten, überwältigend hoch. Bei einem Artikel der Daily Mail war von den rund 50 Kommentaren die ich gelesen habe genau einer, der sich mit dem Thema Absturz befasst und der Rest waren Leute, die sich genervt über die Berichterstattung beschwerten. Die Medienkritik von Seiten der Kunden ist also kein rein deutsches Problem.
Vorgestern las ich dann den Gastbeitrag des Chefredakteurs der "Westdeutschen Zeitung", einem Regionalblatt aus dem Ruhrpott, beim Bildblog. Der Mann erklärt dort anhand der Berichterstattung zur Katastrophe die Arbeitsweise und das ethische Dilemma zwischen Aufklärungsauftrag der Presse und dem Recht auf ungestörtes Trauern der unmittelbar Betroffenen. Nun hat sich diese Zeitung mit dem Abdruck eines Interviews mit dem Pizzabäcker des Co-Piloten (o_0) nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber immerhin wurden dort keine Namen genannt und auch keine Bilder von Trauernden abgedruckt. Die Entschuldigung für den Artikel mit dem Pizzabäcker erfolgt zwar nur mit Relativierung, aber immerhin. Das Interessante an diesem Beitrag ist aber nicht nur die halbärschige Entschuldigung eines unwichtigen Pressemenschen für die sensationslüsterne Berichterstattung, sondern auch die Zahlen, die er dem Leser zur Hand gibt.

Über 400 Beschwerden zum Thema gingen in den ersten acht Tagen nach dem Absturz beim deutschen Presserat ein. Die Nachrichtenplätze der Öffentlich-Rechtlichen waren zur Hochzeit der Berichterstattung zu 59% (!) vom Absturz belegt. Ein trauriger Rekord, den ARD und ZDF da aufstellen. Doch auch die jetzt überall, nicht nur bei irgendwelchen Regionalblättern, geheuchelte Reue  der Medienmacher ist wenig hilfreich um mich mit den Massenmedien zu versöhnen. Das ist nur der Versuch diejenigen, die sich sonst angeekelt abwenden wieder zurück ins Boot zu holen nach dem Motto "Guck, es tut uns alles furchtbar leid, wir haben den Fehler eingesehen, blabla, blubb blubb".

Aber die Medien im Allgemeinen müssten schon deutlich mehr tun als Besserung zu geloben. Es ist ja nicht nur die sensationsgeile Clickbaiterei und das Witwenschütteln bei den Katastrophen, die mich ankotzt. Auch das jahrelange Neoliberale Fanboy-Geschreibsel, die einseitige Propaganda in Sachen Ukraine-Konflikt, oder das Griechen-bashing zeigen wie unmöglich die deutsche Medienlandschaft geworden sind. Was dabei heraus kommt wenn man seine "Kunden" über Jahre schlecht, oder gar fehlinformiert, das ist nunmal eine Kundschaft die misstrauisch bis zur Paranoia wird und es gibt nichts was schwerer wieder zu finden ist als verlorenes Vertrauen.

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